Kreativ, kritisch, klug: Literatur und Theater-Kurs inszeniert Antigone
- Frau Bertram
- 7. Apr.
- 5 Min. Lesezeit
Ungeheuer ist viel, doch nichts ungeheurer als eine Auseinandersetzung des Literatur und Theater-Kurses mit einem antiken Stoff. Sophokles´ Antigone war die Grundlage für eine moderne Interpretation eines Klassikers, der – wie es die Inszenierung des Literatur und Theater - Kurses der Jahrgangsstufen 11 und 12 des Eichendorff-Gymnasiums eindrucksvoll bewiesen hat - nichts an Aktualität eingebüßt hat.
Nicht nur, dass es dieser 22köpfigen engagierten Truppe gelungen ist, den antiken Klassiker auf äußerst abwechslungsreiche und teils auch provokante Art und Weise zu inszenieren, nein, auch der Gehalt dieses unverwüstlichen Stoffes wurde auf ehrfürchtige Weise einem jungen Publikum nahegebracht.
Der Plot ist schnell erzählt: in der Polis Theben ist nach dem Tod von Ödipus ein Machtvakuum entstanden, das seine beiden Söhne, Polyneikes und Eteokles versuchen auszufüllen. Im Kampf um die Herrschaft über die Polis siegt Eteokles, der Theben von innen heraus verteidigt, nachdem er seinen Bruder Polyneikes in die Nachbar-Polis verbannt hat, von der aus der Bruder mit den sogenannten Sieben gegen Theben kämpft. Nachdem sich die Brüder im Zweikampf begegnen und sich im selben Augenblick gegenseitig töten, fällt die Macht an ihren Onkel Kreon, der als Erstes verfügt, dass Eteokles ein Held des Vaterlandes sei, während Polyneikes als der Angreifer dazu verdammt wird, unbeerdigt vor den Toren der Stadt liegen zu bleiben. Polyneikes´ Schwester Antigone fasst den Plan, ihren Bruder die letzte Ehre zu erweisen und ihn zu beerdigen, damit es ihm vergönnt ist, ins Reich des Hades zu gelangen. Im Versuch, ihren Bruder zu beerdigen, wird sie von den Wachen erwischt und vor Ihren Onkel, den Herrscher Kreon, geführt, der nach einem argumentativen Schlagabtausch beschließt, seine Nichte lebendig begraben zu lassen als Strafe für die Zuwiderhandlung gegen seinen Befehl. Zu spät erkennt Kreon seinen Fehler und so nimmt gemäß dem bekannten Schema einer antiken Tragödie dieselbe ihren Lauf: Kreons Sohn Haimon, Verlobter von Antigone, tötet sich ebenso wie seine Mutter Eurydike. Kreon verliert schließlich auf die Zustimmung der Bürger Lebens sowie vor allem der Ältesten, die in der Tragödie durch den Chor repräsentiert werden.
Und schon in der ersten Chor-Szene zeigt sich die Akzentuierung des Kurses, nämlich Kreon als den eigentlich tragischen Helden anzusehen, wenn im Themen Rap (Text: John-Peter Steege) Kreon am Ende mit den Worten „Onkel Kreon nun am Start / Krone auf Direktmandat. / ist jetzt König von Theben / neuer König neue Regeln!“ in seiner Willkürherrschaft vorgeführt wird. Und am Ende dieser eindrucksvollen Inszenierung wird vom gesamten Ensemble in einem modernen Sprechgesang der grundlegende Konflikt noch einmal sehr deutlich vorgetragen. „Antigone, die Aktivistin / Opfer alte Männer macht … / Psychopath bleibt unser Kreon … / Menschlichkeit für jedermann?“ hallt es eindrucksvoll von der Bühne herunter ins Publikum, als wollten die 22 LuTh-Schüler*innen damit zugleich auch auf aktuelle Konflikte und deren Verrat an der Menschlichkeit anspielen.
Doch nicht nur diese intelligente Akzentuierung innerhalb des Klassikers beeindruckt, sondern auch der Ideenreichtum der einzelnen Szenen sowie die damit einhergehende Spielfreude.
Entstanden ist diese Produktion so, dass die Schülerinnen in Kleingruppen sich jeweils zwei Szenen heraussuchen sollten, um sie auf das Wesentliche zu verkürzen und ein jeweils originelles Inszenierungskonzept zu erstellen.
Herausgekommen sind Szenen, in denen gezeigt wird, wie während einer Generalprobe eines großen Theaters um die richtige Interpretation einer Figur gerungen wird, wie ein eitler Schauspieler sich ein ästhetisches Gefecht mit dem Lichttechniker liefert oder wie die familiäre Problematik der Ödipus-Nachkommen in einer modernen systemischen Psychotherapiesitzung aussähe. Zwischen drin erleben wir immer wieder den Chor, wie er kommentierend, forcierend oder erschüttert das Geschehen begleitet. Das Ensemble lässt es sich nicht nehmen, das berühmte erste Stasimon dieses Klassikers „Ungeheuer ist viel“ heranzuziehen, um einen knappen historischen Parforceritt durch die Verbrechen der Menschheit aufzuzeigen. Die Anklagen reichen vom unverantwortlichen Umgang mit der Natur über die Kreuzzüge und den menschenverachtenden Imperialismus Europas bis hin zu den nationalsozialistischen Verbrechen des Holocaust und dem aktuellen Potential der Selbstvernichtung. Am Ende wird der berühmte Vers „Ungeheuer ist viel, doch nichts ungeheurer als der Mensch“ im altgriechischen Original von der Bühne geschmettert, als wolle das Ensemble damit an die Wiege der Kultur und der Humanität erinnern.
Dabei wird die Antike nicht verherrlicht, ganz im Gegenteil wird in der Szene von Kreon im Umgang mit dem Wächter gezeigt, wie unbarmherzig man mit dem Überbringer schlechter Nachrichten umgegangen ist: Der Bote wird vom Herrscher kurzerhand getötet. Diese Szene wird wiederum konterkariert mit einer eher modernen Gerichtsverhandlung, in der Antigone eine stärkere Stimme hätte. Ebenso modern wird gearbeitet, wenn in einer durchaus ironisierenden Version moderne Moderationsformate persifliert werden, um vorzuführen, wie Mächtigen eine Bühne geboten wird. Ein besonderes Bonbon ist in diesem Kontext sicherlich der Satz des blinden Sehers Tiresias, der Kreon stellvertretend für alle aktuellen selbstherrlichen Autokraten attackiert: „Wie können Sie denn so blind sein und nicht sehen, was für ein Unheil sie über dieses Land bringen?“
Für alle, die mit dem diesen Text zugrunde liegenden Ödipus Fluch nicht vertraut sind, hält das Ensemble auch noch einen PowerPoint-Vortrag bereit, bei dem man als Publikum schwankt, ob er wirklich nur die Funktion hat, über den Hintergrund an passender Stelle zu informieren, oder ob er nicht vielmehr eine süffisante und hintergründige Parodie von GFS- Vorträgen an sich darstellt.
Neben solchen Szenen, die durchaus satirischer Qualität sind, ist sich das Ensemble auch nicht zu schade für einen Schenkelklopfer-Humor, wenn Kreon als ein durch und durch badischer KSC-Fan auftritt und das Publikum zum Mitsingen des Badener Lieds veranlasst, um in der nachfolgenden Szene Kreon als rückständigen und frauenfeindlichen Herrscher darzustellen.
Doch es wäre zu kurz gegriffen, wenn man aus dieser Produktion die satirischen, ironisierenden und humorvollen Szenen herausgriffe, denn das Ensemble beweist, dass es auch sehr ernsthaft mit diesem Stoff umzugehen versteht, indem in einer Szene der ernsthaften Antigone zwei Alter Egos begegnen, und zwar ein atheistisches und ein nihilistisches, mit denen die echte Antigone um ihre Position und ihr Anliegen auf intellektueller Ebene ringen muss. Ebenso dringt das Ensemble am Ende in das Innere des Herrschers vor und lässt die in ihm wirkenden Stimmen anschaulich werden, wenn alle Darstellenden in einer Bewegung von Umzingelung auf den verzweifelt niederknienden Kreon an der Bühnenrampe einsprechen.
Und der LuTh-Kurs wäre kein LuTh-Kurs, wenn er nicht an ein paar Stellen auch beweisen würde, dass er durchaus klassisches Theater bieten kann. So wird eine Szene nahezu textgetreu gespielt, in einer anderen Szene wird eine gepflegte Chorpassage mit pantomimischem Spiel von Eros und Aphrodite geboten, während in zwei weiteren Szenen das Spiel mit der Pantomime über eine Erzählerin angeleitet wird und die Qualität des Sophokles-Textes in einer anderen Szene in Form von Ein-Wort-Sätzen eindrucksvoll umgesetzt wird.
Am Ende ist man begeistert von diesem prallen Ideenfeuerwerk, das sich auf der Bühne mit ungeheurer Energie entfaltet, zugleich aber auch nachdenklich, wenn man den intelligent gekürzten und dadurch pointierten Texten folgt, und manchmal vielleicht auch etwas visuell überfordert angesichts der Präsenz dieses großen und stimmgewaltigen Ensembles.
Man darf getrost behaupten, dass dies nicht nur ein kluger und origineller Hofknicks vor einem klassischen Drama war, sondern zugleich auch eine eindrucksvolle Demonstration, was man in dem Literatur und Theater-Kurs alles an Kompetenzen erwirbt. Ungeheuer! Ungeheuer gut!
